Kühle Vorfrühlingstage auf dem Land haben wir verbracht. Hier im Nordosten ist es mit Frühling noch nicht so weit; die Schneeglöckchen sind hier gerade in voller Blüte, die Forsythien entwickeln gerade erst hellgrüne Blütenknospen. Die Wiesen sind noch braun und matschig. Aber die Vögel! Sie singen, dass es eine Lust ist. Man hört alle Tonlagen und Darbietungsarten, von Keckern und Schnalzen über Singen und Tirilieren zu Pfeifen und Jubilieren. Es ist herrlich.
Als Gedicht der Woche habe ich ein Frühlingsgedicht von Goethe gefunden, das den hiesigen Frühling recht gut beschreibt. Ich habe hier nur die erste Strophe fotografiert, weil die zweite Strophe das Gedicht zu einem Liebes- und Lustgedicht macht. Es ist recht spaßig, auch die erste Strophe so zu lesen. Goethe war ein echter Lustmolch.
Dieser Beitrag ist verlinkt bei dem Berliner Familienblog „Große Köpfe“.
Samstag, der 27. März 2021
Wir sind noch in Berlin. Aufs Land soll es gegen Mittag gehen.
Als erstes hänge ich heute die Ostereier vom Strauß ab, weil bei uns der Osterstrauß eigentlich erst zu Ostern geschmückt wird. Diese Eier waren ein paar Tage am Strauß, weil ich Fotos für die Anleitung für die Eier machen musste.
Ich bin dabei ganz in Gedanken und trüb gestimmt, weil ein Konflikt mich mitnimmt. Ich bin tief gekränkt und traurig. Das beschäftigt mich seit Tagen. Deswegen schreibe ich einen Brief an die Person, die die Sache betrifft (es ist nicht mein Mann :-). Das hilft schon ein wenig, um Abstand zu gewinnen.
Die kleine Tochter kommt herunter. Wir lesen auf dem Sofa vor, wie immer mit Tee für uns beide. Die große Tochter hat Übernachtungsbesuch von einer Freundin; die beiden schlafen noch. Das Madita-Buch ist mein altes aus meiner Kindheit. Das Vorlesen und das Kuscheln mit der Tochter lenken mich schön ab.
Frühstück mit Spiegelei und geröstetem Brot für alle hungrigen Mäuler im Haus.
Symbolbild Yoga. Auch das Yoga tut gut. Ich atme und dehne verletzte Gefühle ein bisschen weg.
Ich winde aus den Weidenzweigen, die noch von einer anderen Bastelaktion auf der Terrasse stehen, diesen Kranz und hänge drei Wachteleier daran. Als vorösterlichen Schmuck für die Haustür. Tätigkeit mit den Händen bzw. etwas Schönes zu schaffen tut meiner Seele immer gut.
Die kleine Tochter flippt vor Freude aus und tanzt wild durchs Wohnzimmer, als sie erfährt, dass sie ihre beste Freundin jetzt besuchen darf, bis wir los aufs Land fahren. Mein Mann bringt sie hin.
Wieder eine tolle Ausbeute von der Retterkiste, die ich mit dem Fahrrad abhole. Da bleibt wieder etwas für liebe Nachbarsfamilien übrig, denen ich jeweils eine Tüte mit Möhren, Salat, Radieschen und anderen Sachen vorbeibringe.
Ofengemüse zum Mittagessen. Danach wird gepackt und ab geht’s aufs Land.
Wenn wir hier ankommen, können wir alles aus Berlin hinter uns lassen. Das tut gerade mir heute sehr gut.
Ich schaue gleich nach, was sich und er Botanik getan hat. Die Schneeglöckchen im Garten sind jetzt voll aufgeblüht. Ich freue mich total daran.
Mein Mann und ich machen einen Gang übers Grundstück. Der Himmel ist regenschwer, die Böden noch wintergezeichnet.
Die Siele auf der Kuhweide hinterm Grundstück leuchten im Restlicht des Tages.
Spaziergang über die Felder mit den Hunden. Es nieselt; die Sonne ist schon untergegangen.
Blick ins Wäldchen.
Nach dem nasskalten Spaziergang tut die herrliche Ofenwärme gut. Auch die Hunde legen sich in die Wärme.
Mein Mann recherchiert nach Holzöfen. Wir möchten gern einen Ofen, mit dem man auch kochen und backen kann (sowas nennt sich „Kochmaschine“). Wir haben ja so eine heimliche Prepper-Seele 😀 und wollen zumindest hier auf dem Land im Notfall ohne Strom zurechtkommen können.
Die Tochter übt Gitarre. Dieser Ofen soll seinen Platz woanders bekommen, ich verrate noch nicht, wo. Ist aber ein ganz besonderer Ort. Hier soll dann die Kochmaschine hin.
Und dann ist der Tag eigentlich vorbei. Nach dem Abendessen arbeite noch ein bisschen am Rechner, während mein Mann die Kinder ins Bett bringt. Dann sinke auch ich ins Bett.
Sonntag, der 28. März 2021
Wir sind wie immer früh auf. Ich mache einen ausgiebigen Spaziergang mit den Hunden bei Sonnenaufgang.
Die Sonne ist schon richtig stark.
Über eine der Wiesen hüpft eine flügellahme Drossel. Man sieht, dass sie schon geschwächt ist; einer ihrer Flügel ist gebrochen. Einer unserer Hunde jagt dem Vogel hinterher und erwischt ihn am Genick. Ich nehme dem Hund den Vogel weg und nehme ihn in die Hand. Sein Köpfchen sackt zur Seite, und er stirbt in meinen Händen. Es bricht mir das Herz. 🙁
Ich trage das Vögelchen nach Hause. Es ist ein kleiner Trost, dass unser Hund dem Vogel immerhin ein längeres Leiden erspart hat. Ein flügellahmer Vogel hat schließlich in der Natur keine Chance. Mein Mann sagt zwar „Wirf ihn auf die Wiese, dann dient er immerhin noch den Bussarden als Futter,“ und damit hat er natürlich recht. Das wäre der Lauf der Natur: Kranke Tiere werden halt vom Nächsten in der Nahrungskette erwischt. Aber die Kinder wollen den Vogel unbedingt begraben. Ich auch.
Also bekommt „Drosseli“ ein Grab unter den Nadelbäumen.
Ich pflanze noch ein paar Schneeglöckchen auf unserem Grundstück ein.
Ich liebe das kleine grüne Herz, das auf den inneren Blütenblättern von Schneeglöckchen zu sehen ist. Ich sehe in der Form zumindest ein Herz.
Wir machen einen langen Spaziergang mit Inlinern über die einspurige Landstraße, die eigentlich als Fahrradweg angelegt wurde.
Auf dem Spaziergang habe ich im Wald Blaubeerkraut gepflückt. Das kommt zu den Tulpen in die Vase.
Zum Mittagessen gibt es Salat mit gehackten Wildkräutern, die ich auf dem Spaziergang gesammelt habe (Taubnessel, Vogelmiere, Löwenzahn und Brennnessel – alle voller Vitamine und anderer guter Stoffe). Danach ein Blumenkohl-Kartoffel-Auflauf.
Nach dem Mittagessen setze ich mich noch für eine halbe Stunde vor dem Haus in die Sonne. Die scheint jetzt noch so schön; später soll es wieder regnen.
Plötzlich schiebt sich diese Wolke vor die Sonne. Ich gehe rein und mache Mittagsschlaf mit meinem Mann und den Hunden. Die Kinder schauen in der Zwischenzeit einen Film.
Nach der Mittagspause gehen wir alle nochmal raus. Die kleine Tochter verziert das Vogelgrab, hier mit unserem vertrockneten Adventskranz, den wir auf Wunsch der großen Tochter nicht wegwerfen durften. Wir suchen auf dem Grundstück weitere Dinge zusammen, die für die Verzierung des Grabes geeignet sind.
Die kleine Tochter ist mit Herz, Seele und Kopf mit dem Vogeltod beschäftigt. „Der Vogel ist jetzt im Himmel und dort geht es ihm gut, ne?“ sagt sie. Dann: „Weißt Du, Mama, wie ich mir Gott vorstelle?“ Ich: „Na, Gott ist ja so eine starke, gute Naturkraft, nicht?“ Tochter: „Also, ich stell mir Gott so vor: Er hat goldene Locken und trägt ein weißes Seidenkleid, und er hat weiße, zarte Flügel. Und er gibt allen ein gutes Gefühl.“ Ich verbeiße mir alle weiteren Worte, denn wer bin ich, meiner achtjährigen Tochter ihr Gottesbild zu vermiesen oder überhaupt zu prägen? Ich selbst glaube zwar eher an die starke, geistige Naturkraft, die man nicht bildlich fassen kann, und drücke das so auch aus, wenn ich vor den Kindern darüber spreche. Aber mein Kind darf glauben, was es will. Und hat es den Sinn von Gott nicht wunderbar erfasst: „Er gibt allen ein gutes Gefühl.“ So soll es doch sein.
So sieht das Vogelgrab dann aus. Die Tochter schickt mich weg. Ich soll nicht zuhören, wie sie für den Vogel ein paar Worte spricht. Dann darf ich wieder herbeikommen.
„Wollen wir noch etwas singen?“ frage ich. „Wie wäre es mit diesem wunderschönen Lied, das Ihr in der Schule auf der Harfe spielt? Wie geht es doch gleich?“
Sie sagt, sie will es allein singen und singt das Lied in überirdisch klingenden Tönen, ganz hoch. Es ist eine Melodie, die mir die Gänsehaut über die Rücken und die Arme treibt. Und der Text passt einfach wunderbar:
„In der Sonne hellem Leuchten
Hebt ein Vogel seine Schwingen
Fliegt über Wiesen,
Fliegt über Wälder,
Kehret heim zur Abendstunde.“
Eine passendere Weise hätten wir nicht finden können. Ich bin zutiefst gerührt und im Herzen bewegt. Mir kommen ein paar Tränen, als ich an den hübschen Vogel mit den lieben Augen denke, der jetzt dort in der Erde liegt.
Als wir dann nachdenklich ins Haus gehen, denke ich, dass das ganze Szenario gar nicht so schlecht zur morgen anbrechenden Karwoche passt. Und ich denke auch: Was ist mit dem kleinen Vogel noch gestorben? Da kann man schon ins Grübeln kommen.
Die große Tochter hat in der Zwischenzeit mit dem Papa im Wald Schneeglöckchen gepflückt.
Danach richtet die kleine Tochter diesen symmetrischen Teetisch her. In der linken unteren Ecke fehlt auf dem Foto noch der Teekuchen von der Ufa-Bäckerei, der der Retterkiste beilag. Den gibt es leicht angetoastet mit Butter zum Nachmittagstee.
Der Tag klingt mit Baden beider Kinder und einem Hörbuch aus, das wir alle zusammen anhören: Den zweiten Band der Trilogie „Zeitenzauber“ von Eva Völler. Die Trilogie hat die große Tochter wahrscheinlich schon zigmal angehört, aber sie kann es immer wieder hören. Mein Mann und ich hören bei der Geschichte auch recht angetan zu. Die Zeitreise-Geschichten sind wirklich gut geschrieben und haben neben einer anspruchsvoll verwickelten Handlung und interessanten, offenbar gut recherchierten Einblicken in den Alltag vergangener Zeiten auch einen gewissen Humor.
Und nun möchte auch ich der Familie ins Bett folgen. Alle sind schon oben und schlummern tief und fest.
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Wir bleiben nun noch ein paar Tage auf dem Land, denn es soll hier am Dienstag und Mittwoch sonnig und 20°C warm werden. Zu Ostern sollen die Temperaturen leider wieder runtergehen. Vor Ostern fahren wir nochmal nach Berlin, weil die Kinder Ende der Woche noch Verabredungen und ich einen Arzttermin habe.
Wir schmieden hier übrigens ein paar schöne Pläne und freuen uns daran. Pläne machen meinem Mann und mir große Freude. Wir planen und wägen ab, überlegen, recherchieren und versuchen, das Beste aus dem zu machen, was wir haben. Das beflügelt uns beide und gibt neuen Schwung für dieses Jahr.
Ich wünsche auch Dir, dass Du, vom Frühling beflügelt, ein paar Pläne schmieden kannst. Es fällt ja zur Zeit eher schwer, aufgrund der Bedingungen. Deswegen wünsche ich allen Leser*innen, dass Ihr Euch nicht unterkriegen lasst, dass Ihr den Euch zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum nutzt, um zu planen und zu leben.
Ganz wichtig auch: Euch Gutes tun. Euch Zeit für Euch selbst zu nehmen, und sei es nur eine halbe Stunde, die Ihr allein mit geschlossenen Augen in der Badewanne liegt, oder joggt oder Musik hört und wild dazu abrockt, oder Euch eine Meditation anhört. Was auch immer Euch Spaß macht und gut tut. Inspirationen für Selbstfürsorge findet Ihr übrigens auch in meinen „perfekten Tagen“, die ich mir ab und zu gönne – der letzte ist noch gar nicht lang her.
Und jetzt geht müde in die Heia
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Danke liebe Maike, wieder wunderschön und berührend geschrieben. Ein toller Blog! Es ist anrührend, wie ihre kleine Tochter mit dem Tod es Vogels umgegangen ist. Wir haben bei uns auch mit meinen Kindern (sechs und neun Jahre alt) Tiere beerdigt im Garten, die Kinder haben richtige kleine Grabplatten gestaltet. Ein gefundener toter Specht und eine überfahrene Ente, die sie von der Straße aufgelesen haben, ruhen nun bei uns. Ich empfehle das Buch „Lebe wohl, lieber Dachs“ von Susan Varley. All das Gute, das der Dachs getan und den anderen Tieren beigebracht hat, lebt nach seinem Tod in den Erinnerungen und den Fähigkeiten der Tiere weiter. Ein tolles Buch, welches wunderbar in die Passions- und Osterzeit passt.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und viele positive Momente in dieser verrückten Zeit.
Alma
Liebe Alma, vielen Dank für die Reaktion und den Tipp mit dem Buch. Von dem habe ich schon gehört, es soll toll sein! Wie schön, dass auch Ihr die toten Tiere beerdigt habt. Ich finde es wichtig, den Tod „ganz normal“ zu behandeln, ihn auf keinen Fall zu tabuisieren. Aber natürlich auch Trauer und Vermissen ganz normal zu integrieren, und ihnen den Raum und die Zeit zu geben, die sie brauchen.
Danke für Deinen Beitrag,
Deine Maike