Immer noch waren wir im Winterurlaub auf Sizilien, allerdings ging es am späten Sonntag Abend zurück nach Berlin. Wir wohnten diesmal ganz im Südosten der Insel, nahe der Barockstadt Noto, in einem Airbnb bei einer Familie von Zitrus-Bauern. Sie haben einige Räume auf ihrem Anwesen zu Ferienunterkünften hergerichtet. Unser Häuschen, eine ehemalige Scheune, lag inmitten von üppig grüner Vegetation, unter Zitronen-, Orangen- und Mandarinenbäumen.
Obwohl wir ja schon mehrfach auf Sizilien waren, MUSS ich dieses Mal einfach die berühmten Zeilen von Goethe zitieren, die er dem Mädchen Mignon in den Mund legt, in einer Geschichte in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Mit dem Land, von dem Mignon in dem schwärmerischen Gedicht spricht, ist natürlich Sizilien gemeint. Das Gedicht ist noch länger; ich beschränke mich hier auf die erste Strophe, weil sie so gut zu der Umgebung passt, in der wir wohnten:
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
Mignon, in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ von J.W. v. Goethe
Samstag, der 5. Februar 2022
Heute stand unser zweiter Besuch in Siracusa an. Das antike Syrakus war eine griechische Stadt und hatte um 700 VOR Christus etwa eine halbe bis eine Million Einwohner. Kaum zu glauben. Sie war eine der reichsten und bedeutendsten Metropolen im Mittelmeerraum, bevor sie unter den Römern an Bedeutung verlor.
Noch immer ist die Stadt voller antiker Sehenswürdigkeiten und verfügt über eine schmucke barocke Altstadt, in der das Bummeln und Entdecken eine Freude ist. Besonders um diese Jahreszeit, in der außer uns kaum Touristen auf der Insel sind.
Das erste, was uns im archäologischen Park von Siracusa begegnet, ist dieses Rotkehlchen, das Fotografieren offensichtlich gewohnt ist. Es lässt uns ganz nah ran.
Zuerst laufen wir durch die antiken Steinbrüche, aus deren Sandstein Syrakus vor Jahrtausenden gebaut wurde. Ein widersprüchlicher Ort: Heute wirken die alten Steinbrüche wie ein wunderschöner botanischer Garten. Es ist kühl, still und leer hier unten, und alles ist mit mediterranen Pflanzen und Zitrusbäumen bewachsen. Aber vor 2500 Jahren haben sich hier 7000 Kriegsgefangene aus Athen erbärmlich zu Tode geschuftet. Denn die Athener hatten erfolglos versucht, Syrakus anzugreifen (obwohl beide Städte griechisch waren). Ich spüre definitiv ein eisiges Schaudern, als ich durch die Steinbrüche wandere. Den schweren Hauch der Geschichte spürt man hier fast körperlich, gerade deswegen, weil es so totenstill ist.
Die Orangen und Mandarinen werden zur Zeit reif.
Hier hätten wir uns mehr Infos gewünscht: Waren diese Kuhlen in den Wänden für Opfergaben, oder haben die armen Kriegsgefangenen hier Steinplatten für Paläste und Tempel rausgelöst?
Und dies ist das berühmte „Ohr des Dionysios“: Eine Höhle in einem der Steinbrüche, in der es ein Echo wie in einer riesigen Kathedrale gibt. Wir sind hier ganz allein; wir hören jeden unserer Schritte laut auf dem Sandboden knirschen. Ich teste das Echo, indem ich Lieder singe: den Choral „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ (der tröstet mich immer) und „Abendstille überall“, einer meiner Lieblings-Kanons. Was für ein schöner Hall.
Und was für ein seltsames Erlebnis, in einem antiken Steinbruch mit dieser Geschichte laut zu singen.
Und dann natürlich das riesige griechische Theater. Es ist das größte Theater der griechischen antiken Welt. Hier hatten 15.000 Zuschauer Platz!
Als nächstes wandern wir am Lungomare der Altstadt von Syrakus entlang zum Castello Maniace, eine mittelalterliche Festung, die ganz an der Spitze der Altstadt über dem Meer liegt. Ich hatte bei @ulrike_rios_ auf Instagram den Tipp einer besonderen Kunstausstellung in dieser mittelalterlichen Festung aufgeschnappt. Das ist der Ort, auf den ich mich bei dieser Reise fast am meisten gefreut habe.
Der Künstler Alfredo Pirri hat nämlich den Boden des großen Säulensaals komplett mit Spiegeln ausgelegt. Schwere Steinkugeln wurden darüber gerollt und haben die Spiegel teilweise zerbrochen. In dem Boden spiegeln sich die Säulen, die Deckenmosaike, die Geschichte.
Bei dem Werk geht es dem Künstler um unsere Verortung (oder auch um unser Nicht-Aufgehobensein) in der Geschichte bzw. im Lauf der Dinge. Gleichzeitig um die Zerbrechlichkeit der Welt. Wenn man über den Boden läuft, knirscht es immer wieder, weil die Spiegel weiter zerbrechen. Das ist so gewollt. Der knirschende Laut, den jeder Mensch intuitiv kennt, erinnert uns daran, dass Dinge zerbrechen. Auch Beziehungen. Auch die Umwelt. Die ganze Welt ist zerbrechlich. Und wir befinden uns mitten darin, schwebend zwischen oben und unten, gestern und heute, auf brechendem, durchsichtigem Boden. Und doch sind wir ganz sicher, denn der Boden ist fest, auch wenn er nicht so erscheint.
Wir halten uns lang im Raum auf und erkunden die Installation. Auch hier wieder: super, dass wir fast allein sind. Auch die Tochter ist fasziniert.
Das Castello Maniace ist auch draußen und ohne Kunst total sehens- und erlebenswert.
Hinter der Mauer: Das Meer.
Im Eingangsbereich beim Museumsshop ist sizilianische Keramik aus dem 17. Jahrhundert ausgestellt. Traumhaft schön. Solche Teller würde ich sofort kaufen. Ich frage mich, warum man nicht Repliken dieser Keramiken im Museumsshop kaufen kann. Dafür gibt’s dort schlecht übersetzte Bücher über das antike Syrakus und überteuerte Kühlschrankmagneten.
So schön: Aperitif mit kleinen Snacks in einem Café am Lungomare. An diesem ersten warmen Frühlingswochenende sind alle Bars und Restaurants gut besucht. Anscheinend ist halb Syrakus und Umgebung aus den Wohnungen gekrochen, um die erste warme Samstags-Sonne des Jahres zu genießen. Es hat 22°C!
Wir bekommen richtig gute Laune und Glücksgefühle, weil es hier so schön warm ist. Es ist sommerlicher als an vielen Sommertagen in Deutschland…
Segelboote schippern stumm vorbei.
Und erste Ausflugsboote.
Und (Stadt-)Fahrräder, auf Sizilien eher selten. (Rennräder sieht man dagegen in den Bergen am Wochenende häufig. In Italiens Bergregionen, sei es in Umbrien oder Sizilien, trainiert halb Europa für Radrennen.)
Ach, Siracusa, Diu hast uns heute glücklich gemacht!
Zu Hause am Ferienhaus setzen wir uns wieder in die Sonne. Die große Tochter macht mit uns ein Harry-Potter-Quiz aus einer Zeitschrift. Wir wissen fast alles. Kein Wunder, wir lesen die Bücher zum dritten Mal vor. Aktuell den 5. Band.
Wir genießen Tomate-Mozzarella-Brot mit Thymian aus dem Garten. Und natürlich Orangen, Orangen, Orangen. Die pflücken wir hinterm Haus am Baum.
Die kleine Tochter liebt Granatapfel. Der ist allerdings vom Markt.
Harry Potter-Vorlesen auf der Terrasse, bis es dunkel wird.
Das sind frittierte Salbei- und Borretschblätter aus dem Garten. Dazu gibt es zum Abendessen einen großen gemischten Salat und Pasta con le Sarde (Nudeln mit Sardinen, Knoblauch, wildem Fenchel – selbst auf dem Berg hinterm Haus gesammelt! -, Semmelbröseln, gehackten Mandeln und Rosinen. Manche machen es auch ohne Rosinen. Es kommt halt rein, was da ist, immer aber Sardinen und/oder Sardellen, Fenchel und etwas Nussiges. In manchen Rezepten auch Safran, aber das haben wir nicht da (und mögen es auch nicht so sehr). Wir nehmen stattdessen Peperoncino und Pfeffer.
Übrigens: In Italien wird Fisch in der Regel nicht mit Parmesan gegessen. Mancherorts gilt das sogar als Frevel. Fleisch und Gemüse aber schon.
Sonntag, der 6. Februar 2022
Heute ist unser letzter Tag auf Sizilien. Aber unser Flug geht so spät am Abend, dass wir noch einen halben Tag haben, bevor wir zum Flughafen aufbrechen müssen.
Wir wandern nochmal übers Grundstück und saugen die schönen Bilder in uns auf. Den blauen Himmel. Die Sonne. Die Blüten. Das Frühlingsgrün. Die Goldorangen und Zitronen.
Kater Silvestro folgt uns bin zum Bach, der über das Grundstück fließt.
Die Tochter und ich bauen Boote und lassen sie schwimmen. Meins kippt um, es ist zu schwer. Das der Tochter schwimmt prima.
Wir fahren nochmal am Strand vorbei, um auf Wiedersehen zu sagen. Denn wir wollen sehr gern einmal wiederkommen.
Ich stelle mich auf einen Felsen.
Wir fahren in die Cavagrande del Cassibile, den „Grand Canyon“ Siziliens. Der Fluss Cassibile hat eine tiefe Schlucht in die Kalksteinfelsen gegraben.
Wow.
Man kann in die Schlucht hineinwandern. Ich befrage einen diensthabenden Förster, der am Aussichtspunkt steht und Auskunft über die Schlucht gibt. Nach ausgiebigem Lauschen seiner Erklärungen entscheiden wir uns gegen einen Abstieg zu den „Laghetti“, den kleinen durch Wasserfälle verbundenen Seen unten in der Schlucht. Das würde zu lang dauern, nämlich mindestens 2 Stunden anstrengende Wanderei und Kletterei. Das verschieben wir auf ein andermal.
Stattdessen machen wir eine kleine Wandertour auf den flacheren Abhängen der Schlucht.
Am Wegesrand wächst intensiv duftender Salbei.
Die Kühe hier oben haben lustige Frisuren.
Nach dem Laufen haben wir Hunger und kehren in die urige Gaststätte am Aussichtspunkt ein.
Das gemütliche Lokal ist voller Leute, die zusammen wahnsinnige Mengen an Essen vertilgen. Da können wir nur staunen.
Der Himmel auf dem Weg zum Flughafen. Wir haben das Gefühl, da glühen uns die Augen eines olympischen Gottes an.
Und jetzt sind wir wieder in Deutschland und es ist überhaupt nicht schön. Ich bin ja ein wahnsinnig optimistischer Mensch und sehe in jeder Situation das Gute. Aber zur Zeit gelingt mir das nicht, zumindest nicht hier in Berlin, im matschegrauen Winter-Nieselwetter ohne Sonne. Den ganzen Montag war ich irgendwie depressiv und trüber Stimmung und habe nichts angepackt bekommen. Die Koffer stehen auch noch unausgepackt herum.
Ich hoffe sehr, dass sich die in Sizilien geschöpfte Kraft in den nächsten Tagen auch hier bemerkbar macht. Denn am Freitag habe ich Geburtstag. Da wäre ich doch ganz gern gut gelaunt. Aber vielleicht entfalten Sonne, Wärme und die schönen Bilder aus Sizilien noch ihre Kraft.
Gestern ist mir eine Übung wieder eingefallen, die ich letztes Jahr öfter gemacht habe, die so genannte Lichtdusche. Da stellt man sich unter der Dusche vor, dass man von einem dicken, fetten Strahl Licht übergossen und innerlich erfüllt wird (habe ich auf Instagram gepostet). Ich habe die Lichtdusche heute schon wieder gebraucht. 🙁
Ich wünsche allen Leser*innen, dass es Euch aktuell besser geht. Wenn nicht, dürft Ihr gern die Kommentare vollheulen. Dann bin ich wenigstens nicht allein.
Alles Liebe,
Eure Maike
Der Beitrag ist wie immer verlinkt bei Große Köpfe.
Auf Instagram bin ich neuerdings @feinslieb_waldorfblog und freue mich, wenn Du mir folgst!
So schöne Bilder, vielen Dank liebe Maike!
Jetzt habe ich gleich noch mehr Lust auf unsere Osterferien auf Sizilien.
Wir haben jetzt ein Ferienhaus gleich bei Syrakus und nach den Fotos weiß ich, dass wir eine gute Entscheidung getroffen haben.
Ich wünsche Dir und euch, dass die Erholung dieser Winterferien noch einige Zeit anhält und freue mich schon auf Deine nächsten Einträge.
Elisabeth
Liebe Elisabeth, ich habe ein paarmal an Euch gedacht auf Sizilien und wollte Dir schreiben, dass Syrakus eine gute Basis ist! Es ist eine wundervolle Stadt. Vielleicht konnte ich Dich ja ein bisschen inspirieren für ein paar Unternehmungen. Der Parco archeologico ist super, auch für Kinder. Mein Tipp: So früh wie möglich am Morgen hingehen (am besten gleich bei Öffnung), weil 1. nicht so heiß und 2. nicht so voll. Der Reiseführer vom Michael Müller Verlag hat uns immer gute Dienste geleistet. Und die Infos darin sind sehr wertvoll.
Wenn Du Fragen hast, sehr gern!
Liebe Grüße!